Endlich. Es ist rum. Heilig Abend ist vorbei. Gott sei Dank. Ich bin völlig erledigt. Heute mache ich nichts als Couchsitting und Marzipankartöffelchen naschen. Ich liebe Marzipankartöffelchen. Die bauen mich auf, nicht nur hüftspeckmäßig, sondern auch geistig, seelisch und körperlich. Und das brauch ich jetzt. Denn gestern war Heilig Abend, und am Tag nach Heilig Abend bin ich immer platt wie Flunder.
Ehrlich, dieser Weihnachtsstress macht mich jedes Jahr total fertig! Bei mir fängt der ja schon Ende September an, denn ich hab eine große Familie, und für jeden soll ich ein besonders originelles und gleichzeitig auch noch persönliches Geschenk finden, das dazu natürlich auch noch irre preiswert sein, aber sauteuer aussehen soll. Besonders hilfreich sind dabei immer die tollen Anhaltspunkte, die mich zum Ziel bzw. zum richtigen Geschenk führen sollen: “Halt irgendwas für’s Haus” oder “Auf jeden Fall nichts Rotes, das mag sie nicht” oder, mein Favorit: “Was halt zu ihm passt, ich weiß doch auch nicht”.
Bis jetzt ist es mir tatsächlich auch immer gelungen, was wirklich Tolles zu finden, auch wenn ich dafür wochenlang jeden Tag durch sämtliche Läden im Umkreis von 80 Kilometern hetze und bei Ebay inzwischen jede noch so bekloppte Kategorie auswendig kenne. Dummerweise sind meine sämtlichen Familienmitglieder von meiner “Gabe” so begeistert, dass ich mittlerweile die Geschenke-Einkäuferin für die komplette Familie bin.
Angefangen hat das vor ein paar Jahren mit meiner Mutter: “Lucy, mein Liebes, hier hast du fünfzig Euro, besorg du doch bitte meine Geschenke für Opa und Oma und für Onkel Carlo, du hast doch immer so tolle Ideen!” Als nächstes kam mein Vater: “Kleines, besorg mir doch bitte was für die Mama, für die Oma und für deine Schwestern, du weißt doch, ich hab so gar keinen Blick für so’n Frauenkram!” Im Laufe der Jahre kamen dann noch meine Geschwister und ein paar Tanten und Onkel auf meine “Auftragsliste”, denn es ist ja sooo schwierig, für deren verwöhnte Gören was Schönes zu finden. Aber Lucy macht das schon. Und natürlich soll das alles streng geheim bleiben, denn schließlich soll ja keiner wissen, dass keiner seine Geschenk selber besorgt hat.
Toll. Ich renne mir also monatelang die Hacken ab, krieche an Heilig Abend zehn Minuten vor Kassenschluss auf allen Vieren im Kaufhaus zwischen schmuddeligen Regalen herum, um das blöde schweineteure Playmobil-Auto zu finden, das mir vor lauter Torschlusspanik beim Anschauen aus der Schachtel gerutscht ist – und durfte mir dann wie jedes Jahr auch gestern wieder bei der Bescherung anschauen, wie sich die komplette Verwandtschaft völlig entzückt in die Arme fiel und sich gegenseitig “Ach neiiiin, hast duuu dir wieder Mühe gegeben, wie schööön!” zuflötete, während ich mit knallroten Ohren immer tiefer im Sessel versank, weil mir plötzlich siedendheiß eingefallen war, dass die ganze Meute von MIR natürlich AUCH was geschenkt bekommen will! Wie peinlich! Katastrophe! Ich war so beschäftigt mit Fürandereleutegeschenkekaufen, dass ich in der ganzen Hektik meine eigenen Weihnachtseinkäufe total vergessen habe! Lucy Luciano, du bist sowas von dämlich. Ich hätte mich am liebsten unterm Teppich versteckt und habe gebetet, dass es bei der ganzen Beschenkerei vielleicht gar nicht auffällt, dass die liebe Lucy ja auch noch da ist. Pustekuchen. Schließlich gibt’s von mir ja immer so tolle Geschenke …
Als sich dann tatsächlich gefühlte 185 Augenpaare erwartungsvoll auf mich richteten, hab ich völlig verschämt irgendwas von “Korb mit den Geschenken zuhause vergessen” und “zu spät, das jetzt noch zu holen” gestammelt und die ganze Bagage für nächstes Wochenende zu einer verspäteten Nach-Bescherung zu mir nach Hause eingeladen. Woraufhin alle ganz begeistert in die Hände geklatscht haben: “Oh ja, toll, zwei Mal Weihnachten feiern! Nochmal Weihnachtsgans mit Klößen! Super Idee, Lucy, wir freuen uns!” ICH soll KOCHEN?! Sind die des Wahnsinns?! Ich bin froh, wenn ich unfallfrei eine Dose Ravioli aufbekomme!
Oh Gott, da hab ich mir was eingebrockt. Jetzt darf ich diese Woche nochmal loshetzen und gucken, dass ich ein paar originelle Geschenke besorge. Wobei ich die tollsten Ideen natürlich schon für die liebe Verwandtschaft verbraten habe. Und am Wochenende darf ich eine Gans braten. Ich weiß noch nicht mal, wo ich so ein Viech herbekomme, geschweige denn, wie man die macht. Aber egal, jetzt wird erstmal ausgeruht und Kräfte gesammelt. Marzipankartöffelchen sind ja noch reichlich da …